Neulich haben wir uns gefragt – was geht eigentlich so in Luxemburg? Banken, Vielverdiener und Luxus? – das würde vielen sicherlich an erster Stelle in den Sinn kommen. Doch gibt es da nicht noch etwas mehr? In der Tat! Wir haben Luxemburg-Stadt besucht und wurden vielerlei positiv überrascht.
Derzeit findet in Luxemburg-Stadt ein wichtiges Design Event – die Biennale Design City statt. Vom 27. April bis 22. Mai 2016 soll Design City Menschen bewegen, Fragen aufwerfen, Ideen hervorbringen und dabei reichlich Gelegenheiten zur öffentlichen Debatte bieten. Im Sinne von „design thinking“ und interkulturellem Austausch versammelt Design City 2016 Kreative, die sich allesamt durch ihre originellen Ideen hinsichtlich Funktion und Anliegen von Design auszeichnen. Die Projekte illustrieren bahnbrechende Konzepte des Genres und sind eine Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Unterschied zwischen Kunst und Design. Weiterhin machen sie die Bedeutung von urbanem Design und seinen positiven Auswirkungen in einer Stadt wie Luxemburg deutlich.
Design City wurde 2010 in Zusammenarbeit von Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean, dem Luxemburger Museum für moderne Kunst, kurz Mudam und der Stadt Luxemburg ins Leben gerufen, mit dem Ziel Design als eine Lebensphilosophie (und Philosophie der Stadt) zu etablieren, die es Designern ermöglicht, den Wünschen der Bürger und Geschäftsleute Gestalt zu verleihen. Schließlich geht es bei einer „Stadt des Designs” in erster Linie darum, sich um das Wohlergehen der Bürger zu kümmern und sich für deren Lebensqualität einzusetzen.
Das Projekt erwies sich als erfolgreich, so findet die Design City bereits zum 4. Mal statt. Das Thema der aktuellen Biennale ist „Design ≠ Art?“
Ein zentrales Anliegen von Design City 2016 besteht darin, etablierte Wahrnehmungen und Vorstellungen unserer Umwelt zu untergraben. Mit design is (not) art wurde in diesem Jahr bewusst ein zweideutiger Titel gewählt, der zum Nachdenken anregen und provozieren soll. Ist es in unserer hypervernetzten Welt überhaupt noch möglich, zwischen Kunst und Design zu unterscheiden? Kann etwas gleichzeitig Kunst und Design sein? Der Erforschung eben dieser definitorischen Grauzone widmet sich die diesjährige Biennale.
Das Ergebnis kann sich nicht nur hinsichtlich des Designs, sondern auch im Bezug auf unser Lieblingsgebiet Nachhaltigkeit sehen lassen. Hier wurden wir geradezu sehr positiv überrascht, wie tiefsinnig und zukunftsorientiert die ausgestellten Projekte sind.
So wurde zum Beispiel das Bahnhofsviertel, ein Problemviertel der luxemburgischen Hauptstadt ausgewählt, um mit Hilfe von Kunst und Design Integration der dortigen Einwohner zu erreichen. Die Mehrzahl der Bewohner und Nutzer des Viertels ist besorgt über die wachsende Kriminalität und die Zunahme der Prostitution. Ihre Unzufriedenheit steigt stetig. Obwohl – wir als Berliner einen deutlich problematischeren Zustand auf unseren Straßen und in unseren Parks kennen. Doch da hat Luxemburg offensichtlich einen anderen Maßstab, schließlich ist das Land mit Platz 5 eines der sichersten Länder auf der ganzen Welt. Und wenn es stimmt, dass das Lebensgefühl einer Stadt sich am Zustand seiner Straßen ablesen lässt, kann man über den Verfall der Stadtlandschaft rund um den Bahnhof von Luxemburg-Stadt und insbesondere in der Rue de Strasbourg aus der Sicht der Luxemburger beunruhigt sein.
Welche Probleme lassen sich als Ursache für den gegenwärtigen Zustand der Straße identifizieren, und kann Design Lösungen für diese Probleme bieten?
Als Antwort auf diese Frage sind unterschiedlichste Projekte entstanden, wie zum Beispiel „RE-DESIGNING A STREET’S REPUTATION“ von Fabrica, das zur Entwicklung einer neuen visuellen Identität für die Rue de Strasbourg und das umgebende Stadtviertel beitragen soll. Mit ihrem finsteren Ruf zählt die Rue de Strasbourg nahe dem Hauptbahnhof seit einigen Jahren zum Problemviertel der luxemburgischen Hauptstadt. Das Kreativ-Team von Fabrica will die Schatten – und Sonnenseiten des Viertels sowie dessen individuelle und gemeinschaftliche Wahrnehmung erforschen, um eine universelle visuelle Sprache zu entwickeln, die der multikulturellen Realität dieser Straße gerecht wird und deren bisweilen negative Wahrnehmung in ein positives Bild wandelt. So wurde ein System entwickelt, mit dem die Menschen Kontakt miteinander aufnehmen, zeichnen und schreiben können – kurz gesagt, ein Kommunikationsmittel, das ungeachtet von Sprache, Alter oder Herkunft seiner Nutzer zum Einsatz kommen kann. Es handelt sich um ein ausbaufähiges System, das sich einer Vielzahl von Bedürfnissen und Ausdrucksformen anpasst und von Kindern und Einzelhändlern genutzt werden kann, sowie von Ortsfremden.
Ein weiteres Projekt im Bahnhofsviertel ist TALKING THINGS. In Zusammenarbeit mit den Anwohnern, den Nutzern und den Einzelhändlern gibt Talking Things der Rue de Strasbourg eine neue Stimme: Sie gestalten gemeinsam eine Zeitschrift, die die Vorzüge, die multikulturelle Gemeinschaft und die Geschichte dieser besonderen Straße darstellt.
Darüber hinaus finden an vielen Orten der Stadt verteilt und im Mudam Ausstellungen im Rahmen der Design City statt, und einige davon haben uns sehr besonders gut gefallen. Wie zum Beispiel:
DZIGNING THE TIMELINE. INCLUSIVE DESIGN FOR THE ELDERLY
Die philanthropische israelisch-luxemburgische Initiative INclusive by Dzign nutzt Design zur Förderung des generationenübergreifenden und interkulturellen Austauschs. Das Ziel besteht darin, Lösungen zur Verbesserungen des Lebensraumes älterer Menschen zu entwickeln. DZigning the TimeLine: INclusive Design for the Elderly ist eine von Servior (luxemburgischer Dienstleister zur Unterstützung von Senioren) und von der Design-Hochschule Comas in Tel Aviv initiierte Ausstellung.
Im Zeichen eines emphatischen Designverständnisses haben neun Studenten der Design- Hochschule Comas sich mit den Schwierig- und Wirklichkeiten beschäftigt, mit denen ältere Menschen sich im Alltag konfrontiert sehen, um daraus innovative Konzepte für „soziogerontologischen Gruppen“ des Unternehmens Servior zu entwickeln. So wurden etwa Lebensumfelder konzipiert, die auf die spezifischen Alltags- und Pflegebedürfnisse demenzkranker Menschen abgestimmt sind. Um das Projekt der jungen DesignerInnen zu unterstützen, organisierten Anna Bugugnani (Spezialistin für Designstrategie), Lucie Cahu (Grafikerin und Designerin), Lynn Schammel und Giacomo Piovan (vom Designstudio Socialmatter) mehrere „Empathie“- Workshops in den Einrichtungen der Servior-Gruppe in Luxemburg, um damit Bedeutung und Notwendigkeit der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung in den Fokus zu rücken.
Auf die Frage, was das Projekt für sie bedeutet habe, antworteten die Studenten: „Das Projekt hat unsere Sicht auf die Situation älterer Menschen radikal verändert – sowohl in unserer Rolle als Designstudenten als auch aus allgemein menschlicher Sicht.“ Bei der Ausstellung DZigning the TimeLine, mit einer Szenografie von David Richiuso (vom deFact Studio) und Lucie Cahu (Hello World), werden die fünf Projekte sowie eine Dokumentation zum Thema vorgestellt.
Local Craft meets Design
In progress a.s.b.l. und Cercle Cité präsentieren mit Local Craft Meets Design eine Initiative, die die Symbiose zwischen der Arbeit von Designern und Handwerkskünstlern in den Fokus rückt. Im Rahmen des Projekts haben die Besucher Gelegenheit zum Austausch mit Design-Fachleuten und gleichzeitig wird die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Welt des luxemburgischen Handwerks gelenkt. Hier findet man wertvolle Projekte, in denen sowohl ökologische als auch soziale Aspekte berücksichtigt werden. Auch Innovationen im Bereich Biokunststoffe, die sich auf jeden Fall sehen lassen können, sind hier ausgestellt. Dazu in Kürze etwas ausführlicher.
THE ASTOUNDING CANDY POWER
Benjamin Loyauté ist mit dem zweiten Kapitel seiner Installation Le bruit des bonbons – The Astounding Eyes of Syria im Casino Luxembourg zu Gast. Thema der Arbeit ist die in der Sprache, in den Süßigkeiten und Alltagsgegenständen innewohnende Kraft. Loyauté geht hier der Frage nach, wie Geschichte sich verdichtet und wie Vermächtnisse der Vergangenheit bis in die Gegenwart überleben können. Die Botschaft von Bonbons ist universell: Sie machen zwischenmenschliche Beziehungen humaner. Hier werden sie zum Bindeglied, sind Anlass sich zusammenzufinden, sich auszutauschen und sich zu erinnern. Die syrischen Leckereien beschwören gemeinsame Erinnerungen herauf, Erinnerungen, die die Zeit und die Schrecken des Krieges überdauern. Auf der Basis gemeinsamer Traditionen verweben sie Erinnerungen zu möglichem und realem Zeitgeschehen.
Viele Syrer finden heute Halt in ihrem lebendigen Erbe und sie sorgen mit ihren kollektiven und individuellen Erinnerungen für den Fortbestand dieses immateriellen Besitzes, der unteilbar ist, nicht weniger werden kann oder in Vergessenheit gerät. Die Louloupti-Bonbons erinnern an die Abaib Ghouwar genannten syrischen Zuckerstiefelchen, den Suq al-Hamidiya und das Booza-Eis, die heute fester denn je im Gedächtnis all der Syrer verwurzelt sind, die in Jordanien, Frankreich, Kanada, Italien oder anderen Ecken der Welt leben. Als Bild-Objekte und Bindeglieder schärfen die Bonbons unseren Blick, sie helfen uns, klar zu sehen, sind Anlass, uns zu engagieren. Die von Benjamin Loyauté erdachte Leckerei trägt eine Geschichte in die Welt. Jahrhundertelang galt Zucker in der arabischen Welt als Arznei und im 16. Jahrhundert kaufte man Zucker in der Apotheke. Bonbons galten als wohltuend, und diesen Ruf hat ihnen die Geschichte seitdem nicht nehmen können.
Die 1937 von Max Mallowan in Syrien entdeckten Augenidole haben bis heute nichts von ihrer Faszination verloren. Was sie bedeuten, ist unklar. Die Louloupti-Bonbons, die Loyauté nach ihrem Vorbild gestaltet hat, sind spekulativ und gleichzeitig fassbar. Die Funktion des Baiser-Konfekts mit dem Aroma von Damaszener Rosen besteht darin, Zeit und Erinnerungen festzuhalten und Zukunft denkbar zu machen.
Loyauté hält Worte, Geschichte und „süße Erinnerungen“ seiner syrischen Freunde auf Postkarten fest, um zur Bewahrung einer Kultur beizutragen, deren einziges Schutzschild Erinnerungen sind. Die Installation verschafft dem Besucher eine „fiktio-funktionelle“ Erfahrung, deren Objekt-Worte von perlokutiver Wirkmacht sind.
Das Casino Luxemburg als Kunsthalle, wo die zuckersüße Ausstellung derzeit stattfindet, kann sich sowieso sehen lassen. Nach der Umgestaltung wurde es im März 2016 neu eröffnet und bietet nun unter anderem auch pädagogische Angebote und Workshops, zum Beispiel für Kinder und Familien. Sonntags ist Familientag, an dem Mütter und Väter das kulinarische Angebot des neuen Café-Restaurants genießen können, während ihre Kinder an einem künstlerischem Workshop teilnehmen. Die Bastelutensilien werden vom Casino zur Verfügung gestellt und sind zum Teil recycelt, zum Beispiel Weinflaschen-Korken aus dem Café oder Gestaltungs-Überbleisel von vergangenen Ausstellungen – das finden wir natürlich äußerst wundervoll!
Dies ist nur eine Auswahl von Projekten, die uns besonders berührt haben und bei weitem nicht alles. Sicherlich findet jeder darüber hinaus weitere spannende Präsentationen für sich! Denn klar ist, die Design City Luxemburg kann sich auf jeden Fall sehen lassen. Und die Stadt an sich, mit ihren vielen Grünflächen, Museen und kulturellem Angebot ist auf jeden Fall auch mal einen Besuch wert!
Also ab nach Luxemburg and noch bis 22.5. Design City besuchen!!!
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