Kunst Reise-Special

Andy Goldsworthy: Fünfzig Jahre Land Art – eine Ausstellung in Edinburgh

Kaum ein Künstler hat unsere Wahrnehmung von Natur so geprägt wie Andy Goldsworthy. Seit fünf Jahrzehnten erschafft er Arbeiten, die Erde, Stein, Wasser, Holz und Zeit selbst zu Material werden lassen. Nun widmet ihm die National Galleries of Scotland die größte Indoor-Ausstellung seiner Karriere: Andy Goldsworthy: Fifty Years in der Royal Scottish Academy in Edinburgh (bis 2. November 2025).

Die Verwandlung von Raum in Landschaft

Die Schau zeigt über 200 Werke – von frühen Fotografien vergänglicher Interventionen in der Landschaft bis zu monumentalen Installationen, die eigens für das klassizistische Gebäude entstanden sind. Goldsworthy versteht den Ausstellungsort nicht als neutrale Hülle. Die Räume sollen weniger wie museale Hallen wirken, vielmehr erscheinen sie als Fortsetzung der Landschaft, die sie umgibt. Architektur und Natur, Kunst und Leben gehen eine enge Verbindung ein.

Natürlich ist die Erfahrung von Andy Goldsworthys Kunst im Museum nicht mit derjenigen in freier Natur gleichzusetzen. Land Art war ursprünglich ein bewusster Bruch mit dem „White Cube“, ein Ausbrechen aus den Institutionen hinein in Landschaft, Witterung und Vergänglichkeit. Gerade im Fall von Goldsworthy, dessen Arbeiten zutiefst naturverbunden und oft ephemer sind, entsteht hier eine besondere Spannung. Doch genau dieser Widerspruch macht den Reiz der Ausstellung aus: Die Werke entfalten im Dialog mit der Architektur eine andere, ungewohnte Dimension – und laden dazu ein, Goldsworthys künstlerische Haltung auch im musealen Kontext neu zu betrachten.

Andy Goldsworthy, Fence, 2025. Beitragsbild oben: Andy Goldsworthy, Oak Passage und Dock Drawing, beide 2025. Fotos: Stuart Armitt, 2025.

Monumentale Arbeiten von Andy Goldsworthy in Edinburgh

Für Edinburgh hat Goldsworthy Arbeiten geschaffen, die nicht nur in den Raum gestellt, sondern aus ihm heraus entwickelt sind.

Der „Oak Passage“, ein zwanzig Meter langer Korridor aus Hunderten ineinander verflochtenen Ästen windgefällter Eichen, zieht sich durch den größten Saal. Die Passage erinnert an den Wald, dem die Bäume entstammen, und verweist zugleich auf das Eichenparkett der Galerie – das Gebäude selbst wird als verarbeitete Natur erfahrbar.

Eine andere Installation lässt eine massive Lehmmauer durch die Räume laufen. Rissig, schwer, erdverbunden – sie wirkt wie eine tektonische Verschiebung, die das Gebäude durchzieht.

In einem weiteren Saal schweben 10.000 Schilfrohre wie ein leuchtender Regen von der Decke, zwischen Schwere und Leichtigkeit oszillierend, zwischen Erdverbundenheit und Himmelsnähe.

Eindrucksvoll ist der Boden eines Raumes, der vollständig mit Steinen aus mehr als 100 Friedhöfen in Dumfriesshire bedeckt ist. Hier entsteht ein stilles Bild für die Transformation von Körper und Erde: Was den Toten Platz machte, wird in Kunst verwandelt – ein Kreislauf von Vergänglichkeit und Dauer.

Andy Goldsworthy, Red Wall, 2025. Photo by Stuart Armitt, 2025.

Andy Goldsworthy, Oak Passage and Fern Drawing, both 2025. Photo by Stuart Armitt, 2025.

Andy Goldsworthy, Skylight, 2025. Foto: Stuart Armitt, 2025.

Andy Goldsworthy und seine Sicht auf Natur und Ökologie

Andy Goldsworthy ist kein Künstler, der die Natur einfach als Kulisse nutzt. Er begreift sie als Partnerin, als Widerpart und als Lehrmeisterin. Schon als Jugendlicher auf den Feldern von Yorkshire lernte er, Steine zu stapeln, Gräben zu ziehen, mit Witterung, Erde und Tieren zu arbeiten. Aus dieser körperlichen Erfahrung wurde ein künstlerisches Vokabular, das bis heute seine Installationen prägt.

Goldsworthy betrachtet die Natur nicht als harmonisches Idyll, sondern als einen Ort von Schönheit und Härte, von Kreislauf und Vergänglichkeit.

Oder wie er es selbst formuliert:

“We often forget that we are nature. Nature is not something separate from us. So when we say that we have lost our connection to nature, we’ve lost our connection to ourselves.”

„Wir vergessen oft, dass wir Natur sind. Natur ist nichts, das getrennt von uns existiert. Wenn wir also sagen, dass wir unsere Verbindung zur Natur verloren haben, dann haben wir in Wahrheit die Verbindung zu uns selbst verloren.“

Seine Arbeiten entstehen im Rhythmus der Jahreszeiten, oft mit Materialien, die schon im Prozess des Verfalls begriffen sind. Blätter, die welken, Eis, das schmilzt, Wasser, das Formen davonträgt – sie sind Ausdruck eines ökologischen Verständnisses, das den Menschen nicht außerhalb, sondern mitten in diesen Prozessen verortet.

Seine Kunst ist damit auch ein stiller Kommentar zu unserer Gegenwart: In einer Zeit, in der der Mensch versucht, die Natur zu kontrollieren oder auszubeuten, erinnert Goldsworthy daran, dass wir untrennbar mit ihr verbunden sind. Ein Stein, ein Tropfen Wasser, ein Stück Erde tragen Geschichten von Jahrhunderten. Wer sich auf seine Werke einlässt, erfährt Natur als lebendigen Organismus, als Resonanzraum, als Spiegel der eigenen Existenz.

Andy Goldsworthy, Wolle. An gefallener Ulme aufgehängt. Dumfriesshire, Schottland. 6. August 2015, 2015. Aus *Fallen Elm*, 2009–laufend, einer Serie von neunzig Archiv-Inkjetdrucken. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.
Andy Goldsworthy, Stretched canvas on field, with mineral block removed, after a few days of sheep eating it (Gespanntes Leinentuch auf dem Feld, mit entferntem Mineralblock, nachdem einige Tage Schafe daran gefressen hatten), 1997. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.
Andy Goldsworthy, Hedge crawl. Dawn. Frost. Cold hands. (Heckenkrobbeln. Morgendämmerung. Frost. Kalte Hände.) Sinderby, England. 4. März 2014, 2014, Videostill. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Andy Goldsworthy, Ulmenblätter mit Wasser an einem gebrochenen Ast einer gefallenen Ulme befestigt. Dumfriesshire, Schottland. 29. Oktober 2010, 2010. Aus Fallen Elm, 2009–fortlaufend, einer Suite von neunzig Archiv-Inkjetdrucken. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

Andy Goldsworthy, Edges made by finding leaves the same size. Tearing one in two. Spitting underneath and pressing flat on to another (Ränder, hergestellt, indem Blätter gleicher Größe gefunden wurden. Eines in zwei gerissen. Darunter gespuckt und flach auf ein anderes gedrückt). Brough, Cumbria, Kirschhain. 4. November 1984, 1984, Cibachrome-Fotografie. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

Land Art als Dialog mit der Erde

Goldsworthy wird oft der Land-Art-Bewegung zugerechnet, die seit den 1960er-Jahren versucht, Kunst aus den White Cubes der Museen heraus in die Landschaft zu verlagern. Doch im Unterschied zu den monumentalen Eingriffen amerikanischer Land Art – etwa Robert Smithsons Spiral Jetty – arbeitet Goldsworthy meist mit subtilen, vergänglichen Gesten. Ein Kreis aus Blättern auf einem Fluss, ein Muster aus Eisblöcken im Morgengrauen, eine Spur aus Steinen, die von der Flut verschluckt wird.

Diese Werke leben von ihrem Verschwinden. Was bleibt, sind Fotografien oder Filme, die den Moment festhalten, aber nie das Ereignis ersetzen können. Es ist eine Kunst, die Vergänglichkeit nicht bekämpft, sondern feiert. Darin liegt ihr ökologischer Impuls: Goldsworthy zeigt, dass nichts bleibt, wie es ist, und dass auch wir Teil dieses Wandels sind.

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Andy Goldsworthy: Fifty Years – ein einmaliges Erlebnis in Edinburgh

Andy Goldsworthy: Fifty Years ist keine Ausstellung im klassischen Sinn, sondern eine künstlerische Gesamterfahrung. Sie bringt die Natur in die Stadt, ohne sie zu domestizieren. Sie verwandelt das Royal Scottish Academy-Gebäude in einen Resonanzraum, in dem Erde, Stein, Holz und Körper ein gemeinsames Geflecht bilden.

Wer den „Oak Passage“ durchschreitet oder vor der Lehmmauer steht, wird unweigerlich daran erinnert, dass wir selbst Teil dieser Natur sind – vergänglich, verletzlich und doch eingebunden in einen größeren Kreislauf.

Andy Goldsworthy, fotografiert in Dumfriesshire, Schottland, Juni 2024. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

Nachhaltig Reisen nach Schottland

Wer die Ausstellung besuchen möchte, muss nicht ins Flugzeug steigen. Eine besonders schöne und nachhaltige Option ist die Fährverbindung von Amsterdam nach Newcastle. Von dort bringt Sie eine direkte Bahnlinie in weniger als zwei Stunden nach Edinburgh – die perfekte Kombination aus Nordsee- und Zugreise. Alternativ können Sie mit dem Zug durch den Kanaltunnel nach London reisen und von dort bequem quer durch Großbritannien bis nach Schottland fahren. So wird schon die Anreise Teil der Erfahrung: bewusst, entschleunigt und naturverbunden.

Zur Ausstellung: National Galleries Schotland

Mehr über Goldsworthy: „Leaning into the wind“ – Film über Andy Goldsworthys Land Art

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