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Nachhaltige Textilien aus Kiefernnadeln – Ein Interview mit Katharina Jebsen

In früheren Zeiten gab es „Waldwolle“, ein Material aus Kiefernnadelfasern, das unter anderem für Polster verwendet wurde, aber schon länger in Vergessenheit geraten ist. Die Verwendung von Kiefernnadeln als Rohstoff für Textilien bietet ein großes Potenzial für eine nachhaltige und umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Materialien. Aktuell gibt es Versuche, aus Kiefernnadeln Fasern herzustellen und diese für Textilien zu nutzen. Allerdings sind weitere Forschungen und Entwicklungen notwendig, um die verschiedenen technischen und chemischen Verarbeitungsschritte zu optimieren und eine Produktion im größeren Maßstab zu ermöglichen. Die Textildesignerin Katharina Jebsen hat vor einigen Jahren in einer Materialstudie die potentiellen Anwendungen von Kiefernnadeln untersucht. Lilli Green hat mit ihr ein Interview geführt, um mehr über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten dieses durchaus innovativen Materials zu erfahren.

Beitragsbild: Katharina Jebsen, Textilien aus Kiefernnadeln

Wie bist du dazu gekommen, dich mit Kiefernnadeln als Rohstoff zu beschäftigen?

Vor mehr als 10 Jahren war ich mit meiner Familie im Urlaub in der italienischen Maremma. Wir verbrachten einige Tage auf einem „Öko-Campingplatz“ am Meer, auf dem riesige Pinienbäume wuchsen. Mein Mann wollte mich eigentlich nur etwas necken, weil ich immer wieder Dinge vom Boden aufhebe und mitnehme, wenn sie mich inspirieren. Als er auf dem Boden liegende, durch die Anfahrt überfahrene und zerfaserte Nadelbüschel sah, meinte er: „Das sieht doch total textil aus – daraus kannst du ja was machen.“ Ich fand das eine gute Idee, er dann allerdings nicht mehr ganz so, als wir eine Tüte mit den schönen langen Nadeln unserem Reisegepäck hinzufügten. In der Folge beschäftigte ich mich in meiner Masterarbeit im praktischen Teil (Materialstudie) mit Kiefernnadeln als Rohstoff, allerdings in Verbindung mit einem designtheoretischen Thema, für das ich mich ebenfalls besonders interessiere.

Bild: Katharina Jebsen

Welche Möglichkeiten bieten Kiefernnadeln, um daraus Fasern oder gar Textilien herzustellen?

Ganz im Inneren des einzelnen Nadelblattes befindet sich tatsächlich eine ganz feine Faser, ähnlich einem Haar, weiß bis farblos. Je nach Länge der Nadeln sind auch die inneren Fasern entsprechend kürzer oder länger. Um diese zu einem Faden zu verarbeiten, wäre wahrscheinlich die Mischung mit einem anderen Fasermaterial von Vorteil. Dies gilt es noch herauszufinden. Mein Traum wäre allerdings ein Monomaterial… Im experimentellen Status konnte ich die feinen Fasern bereits extrahieren, für eine wirkliche Produktion von Garnen (selbst im kleinen, nicht industriellen Rahmen) bedarf es aber anderer technischer bzw. chemischer Aufspaltungs- und weiterer Verarbeitungsmethoden.

Nutzt man das gröbere Material der gesamten Nadel, so sind bereits Garne – eher Kordeln – herstellbar, wie man z.B. bei Tamara Orjolas Projekt sehen kann. Außerdem sind Prozesse wie das Nadelfilzen gute Möglichkeiten, dieses gröbere Material zu einer festen Filzfläche zu verbinden, die dann zum Beispiel als Teppich dienen könnte. Auch das Gießen von Fasern – eine Technik aus der Papierherstellung – ist damit wunderbar möglich und erfordert keinen eigentlichen Faden zur Konstruktion einer Fläche, wie ich in meiner Studie feststellen konnte.

Ich habe kürzlich entdeckt, dass es aktuell gezielte Forschungsprojekte gibt, Garne in Mischungen mit Kiefernnadelfasern herzustellen und die Eigenschaften im Vergleich zu reiner Baumwolle zu evaluieren, um sinnvolle Einsatzmöglichkeiten zuzuordnen.

Welche Vorteile bieten Materialien aus Kiefernnadeln?

Kiefernnadelarten gibt es an vielen Orten weltweit. Wenn man diese lokal verarbeiten würde, um daraus nutzbare Produkte zu erzeugen, könnten verschiedene Probleme zumindest teilweise gelöst werden: die Nutzung lokaler Ressourcen anstatt von Importen, die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort, anstatt dass Menschen aus ländlichen Regionen abwandern, sowie die Nutzung schnell nachwachsender, pflanzlicher Rohstoffe. Einige Produkte könnten sogar kompostiert werden, wenn sie für ihren eigentlichen Zweck „abgenutzt“ sind. Außerdem verströmen die Faserstoffe noch lange einen ätherischen Duft, der auch früher schon geschätzt wurde.

Bild: Katharina Jebsen, Papier aus Kiefernnadeln

Kann das Sammeln von Kiefernnadeln auch zum Naturschutz beitragen?

Ja, allerdings vor allem in Regionen, wo die Art invasiv vorkommt und einheimische Vegetation verdrängt, zum Beispiel im Himalaya oder in Australien. Dort besteht neben der nicht gewollten Verdrängung der einheimischen Arten auch eine erhöhte Gefahr von Bränden, die im Zusammenhang mit Kiefernarten stehen. Teilweise werden diese Brände von betroffenen Bewohnern selbst gelegt, da die Bäume auch das notwendige landwirtschaftlich zu nutzende Land überwuchern, und geraten ungewollt außer Kontrolle. Um dies zu verhindern und andere Möglichkeiten zu schaffen, indem man gezielt Verarbeitungsmöglichkeiten für Kiefernnadeln fördert, kann helfen, den Menschen weitere sinnvolle Einkommensquellen zu erschließen und die regionale Natur zu schützen.

Früher wurde „Waldwolle“ hergestellt. Was war das für ein Material?

Bei der „Waldwolle“ scheint es sich der Literatur nach um Bastfasern von unterschiedlicher Feinheit zu handeln, die recht kurz ausfallen und teilweise als eher nicht (allein) spinnbar eingeschätzt wurden. Anderen Quellen nach zu urteilen lassen sich webbare Garne daraus erzeugen. Genutzt wurde die „Waldwolle“ in Europa eher in einer Form von Vlies als heilende, weil wärmende, oder auch saugende Auflage oder auch als Polstermaterial. Auch von gewobenen Decken kann man lesen.

Ursprünglich war man ohnehin auf der Suche nach einem alternativen Material zur Papierherstellung gewesen, doch dafür eigneten sich die Nadeln damals nicht – also nicht in der Vorstellung eines typischen weißen Papierbogens.

Wieso wird dieses Material nicht mehr hergestellt und wieso gibt es auch keine anderen Materialien aus Kiefernnadeln auf dem Markt?

Das Material konnte sich offenbar nicht gegen andere Materialien behaupten. Es war gröber und kurzfasriger als Baumwolle und Leinen und im gleichen Zeitraum (spätes 19. Jh.) begannen intensive Forschungen im Bereich der Zellulosesynthese, die Ausgangspunkt für weitere Chemiefaserentwicklungen wurde und uns bis heute begleitet.

In Form von Kleinserien oder Kunstobjekten gibt es schon Produkte, meist aus gröberem Fasermaterial, das die gesamte Nadel in verarbeiteter Form nutzt oder sie in irgendeiner anderen Form verarbeitet, zum Beispiel als Masse mit einem Bindemittel, die man dann weiter formen kann. Aber leider gibt es keine „klassischen“ Fadenmaterialien oder textilen Flächen auf dem Markt, wie man es sich wünschen würde.

Was sind die größten Hürden, um ein Material aus Kiefernnadeln auf dem Markt zu bringen?

Die Methoden zur Aufspaltung, um an das eigentliche innere Fasermaterial heranzukommen, müssen noch erforscht und in einen geeigneten und realisierbaren Prozess umgesetzt werden. Dies erfordert längere und intensivere Forschung in interdisziplinärer Zusammenarbeit, beispielsweise mit Biochemikern, Maschinenbauern und weiteren Partnern aus der Industrie. Dies erfordert Zeit, Offenheit für die Denkweisen der anderen sowie finanzielle Unterstützung. Am besten wäre ein solches Vorhaben sicherlich in einem größeren Forschungsprojekt aufgehoben. Dafür müssten aber alle Beteiligten bereit sein, sich über mehrere Jahre mit der Produktentwicklung zu befassen. Schlimmstenfalls stellt sich dabei heraus, dass die Ziele nicht erreicht werden können und es schlicht und ergreifend nicht möglich ist, ein Material zu erzeugen, aus dem Textilien hergestellt werden können, oder dass die möglichen Prozesse absolut unrentabel und aufwändig sind. Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass selbst wenn das eigentliche Ziel nicht erreicht werden kann, durch die Forschung innerhalb eines Projekts immer neue, inspirierende Lösungen entstehen, auf die man allein durch Nachdenken nie gekommen wäre.

Ein weiterer Aspekt ist die Sammlung der Nadeln. Für die inneren Fasern müssen es noch grüne Nadeln sein, zum Beispiel von gefällten Bäumen. Man könnte auch Reste aus der Pharma- oder Kosmetikindustrie (Kiefernnadelextrakte) wiederverwenden. Für gröbere Fasermaterialien und Entwicklungen daraus eignen sich auch getrocknete, braune Nadeln. Die Entnahme sollte jedoch immer dem jeweiligen Umfeld angepasst sein, um das ökologische Gleichgewicht nicht zu stören. In manchen Regionen könnte die Entnahme sogar dazu beitragen, die ursprüngliche, ortsbezogene Vegetation wiederherzustellen, da Pinienarten teilweise eingeschleppt wurden und lokale Pflanzenarten verdrängen.

Wie können diese Hürden genommen werden?

Mit Mut und Zuversicht in die Forschung einsteigen und kreatives Denken, wie es typischerweise bei Designerinnen/Designern vorkommt, mit naturwissenschaftlichem Wissen und Können verbinden, um gemeinsam neue Wege zu beschreiten, es wenigstens versuchen.

Ich glaube, unsere derzeitige Lage, die Umwelt betreffend und alle damit zusammenhängenden Schwierigkeiten, mit denen wir mehr und mehr konfrontiert sein werden, können an solchen Stellen hilfreich sein: lokale Materialien, die regelmäßig nachwachsen, einer sinnvollen Nutzung zuzuführen und Prozesse zu entwickeln, die überall auf der Welt realisierbar sind und somit Abhängigkeiten von Importen reduzieren. Je mehr vom Konsumenten nachhaltige Faseralternativen und Transparenz in der Wertschöpfungskette gefordert werden, desto bessere Möglichkeiten bestehen, auch derartige Nischenprodukte zu etablieren.

 

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