Design Eco-Fashion

Re-Commerce, der trägt: So läuft das Reparaturgeschäft bei Vivobarefoot

Kurze Produktlebenszyklen, sinkende Qualität und anhaltender Überkonsum prägen noch immer große Teile der Mode- und Schuhindustrie. Schuhe werden häufig ersetzt, lange bevor sie tatsächlich untragbar sind, nicht zuletzt, weil Reparatur aufwendig, teuer oder schlicht nicht vorgesehen ist. Re-Commerce wird vor diesem Hintergrund zunehmend als mögliche Antwort auf die lineare Logik von Produzieren, Kaufen und Wegwerfen diskutiert. Doch oft bleibt Wiederverwertung ein ergänzender Service, ein Pilotprojekt am Rand des Kerngeschäfts. Vivobarefoot geht einen anderen Weg und macht Re-Commerce zum strukturellen Bestandteil seines Geschäftsmodells.

Der aktuelle Unfinished Business Report 2025 zeigt, dass die Reparatur- und Wiederverwendungsplattform ReVivo längst kein Experiment mehr ist. Sie ist zu einer operativen Infrastruktur geworden, die sichtbar macht, wie Kreislaufwirtschaft im Alltag eines wachsenden Unternehmens aussehen kann, mit allen Chancen, aber auch mit ihren Grenzen. Wir haben im Lilli Green Magazin bereits über das Engagement von Vivobarefoot für Regeneration und Reparatur berichtet. Der neue Bericht zeigt, wie konsequent und transparent das Unternehmen diesen Anspruch weiterverfolgt.

Schuhreparatur von Vivobarefoot Schuh

ReVivo von der Idee zur Infrastruktur

ReVivo wurde ursprünglich als Reparatur- und Wiederverkaufsplattform für gebrauchte Vivobarefoot-Schuhe entwickelt. Kundinnen und Kunden können getragene Modelle einsenden, die anschließend geprüft, gereinigt, repariert oder neu besohlt und über die Plattform erneut verkauft werden. Im Geschäftsjahr 2024/25 wurden auf diesem Weg rund 62.000 Paar Schuhe wieder in den Umlauf gebracht. Zusätzlich wurden mehr als 63.000 Reparaturen durchgeführt.

Diese Zahlen markieren einen Wendepunkt. ReVivo ist nicht länger ein ergänzendes Nachhaltigkeitsprojekt, sondern ein fester Bestandteil der Wertschöpfung. Die Wiederverwendung von Produkten wird nicht dem Zufall oder dem individuellen Engagement der Konsumentinnen und Konsumenten überlassen, sondern systematisch organisiert. Damit verschiebt sich der Fokus vom reinen Produktverkauf hin zur langfristigen Nutzung.

Reparatur zwischen Nachfrage und Wirtschaftlichkeit

So überzeugend der Ansatz ist, so nüchtern fällt die interne Analyse aus. Die Nachfrage nach Reparaturen ist hoch, deutlich höher, als viele Unternehmen erwarten würden. Eine Rabattaktion während der Repair Week führte zu einem Nachfrageanstieg von rund 500 Prozent. Gleichzeitig bleibt die wirtschaftliche Tragfähigkeit eine Herausforderung. Reparaturen sind arbeitsintensiv, erfordern Fachwissen und verursachen Kosten, die sich im aktuellen Marktumfeld nur schwer vollständig abbilden lassen.

Vivobarefoot benennt dieses Spannungsfeld offen. Reparatur ist ökologisch sinnvoll, aber noch nicht automatisch wirtschaftlich nachhaltig. Genau diese Ehrlichkeit unterscheidet ReVivo von vielen symbolischen Kreislaufinitiativen. Re-Commerce wird nicht romantisiert, sondern als Lernprozess verstanden, der neue Preismodelle, effizientere Abläufe und ein verändertes Konsumverständnis erfordert.

Take-Back Verantwortung über das eigene Produkt hinaus

Ein weiterer Baustein dieser Strategie ist das neu aufgelegte Take-Back-Programm. Vivobarefoot nimmt nicht nur eigene Schuhe zurück, sondern akzeptiert auch Modelle anderer Marken. Kundinnen und Kunden erhalten dafür einen Rabattcode, die Recycling- und Entsorgungskosten trägt das Unternehmen selbst. Nur ein kleiner Teil der zurückgegebenen Vivobarefoot-Schuhe kann erneut aufbereitet und verkauft werden. Dieser Erlös hilft, das System insgesamt mitzufinanzieren.

Das Programm verdeutlicht, dass echte Kreislaufwirtschaft nicht an der eigenen Produktgrenze enden kann. Verantwortung beginnt nicht erst bei der Wiederverwertung, sondern bereits bei der Entscheidung, Rücknahme als unternehmerische Pflicht zu begreifen. Take-Back wird so zur Schnittstelle zwischen Konsum, Verantwortung und systemischem Denken.

Design for Repair als Voraussetzung

Re-Commerce funktioniert nur, wenn Produkte von Anfang an dafür ausgelegt sind. Vivobarefoot setzt deshalb verstärkt auf Design for Repair. Konstruktionen, Materialien und Verbindungen werden so entwickelt, dass Reparaturen möglich und sinnvoll sind. Modelle wie der Primus, dessen ultraleichte Bauweise lange als kaum reparierbar galt, konnten durch technische Anpassungen neu besohlt werden. Damit lässt sich der Lebenszyklus der Schuhe deutlich verlängern.

Messinstrumente wie die VMatrix helfen dabei, Materialwahl, Haltbarkeit und Reparierbarkeit systematisch zu bewerten. Gleichzeitig zeigt der Report, dass Kennzahlen allein nicht ausreichen. Vivobarefoot hat die detaillierte Bewertung vorübergehend pausiert, um Ressourcen auf konkrete Verbesserungen zu konzentrieren. Auch das ist Teil des Unfinished-Ansatzes. Prozesse werden angepasst, wenn sie dem eigentlichen Ziel nicht mehr dienen.

Re-Commerce als kultureller Wandel

Über die operative Ebene hinaus stellt Re-Commerce grundlegende Fragen an unser Konsumverständnis. Ein reparierter Schuh trägt Spuren der Nutzung, erzählt eine Geschichte und widerspricht damit dem Ideal des permanent Neuen. Vivobarefoot versteht diese sichtbaren Reparaturen nicht als Makel, sondern als Ausdruck von Wertschätzung und Langlebigkeit.

In dieser Perspektive wird Re-Commerce zu mehr als einer logistischen Lösung. Er verändert die Beziehung zwischen Marke, Produkt und Nutzerin beziehungsweise Nutzer. Besitz wird relativiert, Nutzung rückt in den Vordergrund. Dass dieser Wandel Zeit braucht, zeigt der Bericht ebenso offen wie die Überzeugung, dass genau hier die Zukunft eines verantwortungsvollen Wirtschaftens liegt.

Die Cousins Galahad und Asher Clark gründeten Vivobarefoot als siebte Generation einer Schuhmacherfamilie.

Unfinished Business bewusst offen

ReVivo und das Take-Back-Programm sind keine fertigen Lösungen, sondern Bausteine eines größeren Transformationsprozesses. Vivobarefoot macht keinen Hehl daraus, dass Re-Commerce wirtschaftlich noch nicht perfekt funktioniert. Gerade diese Offenheit verleiht dem Ansatz Glaubwürdigkeit. Nachhaltigkeit wird nicht als abgeschlossener Zustand präsentiert, sondern als kontinuierliche Arbeit an besseren Systemen.

Ob Reparatur und Wiederverwendung zur neuen Norm werden, hängt nicht allein von einzelnen Unternehmen ab. Wir haben bereits über mehrere Initiativen rund um Reparatur berichtet, darunter den A-GAIN-GUIDE für Kleidung und Repartly für Haushaltsgeräte. Re-Commerce als tragendes Geschäftsmodell zeigt, dass Kreislaufwirtschaft mehr sein kann als ein Versprechen. Sie wird dann relevant, wenn sie in den Kern unternehmerischen Handelns rückt und als Unfinished Business weitergedacht wird.

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